Wer im Job gelassen agiert, kann seine Aufgaben besser erledigen und lässt sich nicht von Ärger und Stress vereinnahmen – davon ist der Businesscoach und Buchautor Christian Bremer überzeugt.
Warum ist Gelassenheit im Job so wichtig?
Christian Bremer: Weil immer mehr Menschen sonst mit der rasanten Entwicklung der Arbeitswelt nicht mehr zurechtkommen. Das belegen zahlreiche Statistiken über Arbeitsunfähigkeit. Bei durchschnittlich 200 E-Mails pro Tag, vielen wichtigen Anrufen, zahlreichen Meetings und einer immer größer werdenden Komplexität reicht es einfach nicht mehr aus, nur motiviert zu sein.
Mentale Stärke wird oft mit „harten Skills“ wie Durchsetzungskraft gleichgesetzt. Wie passt da Gelassenheit ins Bild?
Mental stark sein heißt, unabhängig und handlungsfähig zu sein. Wenn jemand über ein großes Fachwissen verfügt, dieses aber bei einer Präsentation wegen seines Lampenfiebers nicht vermitteln kann, helfen ihm die Hard Skills nicht weiter. Mental starke Menschen sind immer auch gelassen.
Oft entsteht das Gefühl, dass Stress von anderen verursacht wird. Wie sollte ich mit dieser Wahrnehmung umgehen?
In meinen Seminaren gebe ich den Teilnehmern die Aufgabe: „Seien Sie mal verärgert, ohne zu denken. Haben Sie mal Zeitnot, ohne zu denken.“ Und sie bemerken: Es geht nicht! Also ist das eigene Denken die wahre Ursache für den empfundenen Stress. Zum Glück ist das so, denn meine Denkweise kann ich verändern.
Die Suche nach dem eigenen Beitrag zu der Stresssituation ist die Lösung für diese Opfermentalität.
Welche Tipps haben Sie, umgelassen zu bleiben?
Ein ganz wesentlicher Faktor, um auf Dauer das eigene Maß an Gelassenheit zu steigern, ist auf den ersten Blick paradox: Ich muss gestresst sein wollen. Das kann jeder ausprobieren: Sobald Sie „Ja“ zum Stressgefühl sagen und es nicht mehr „wegschieben“ wollen, ist es gleich halb so schlimm. Zum Glück ist Stress in den allermeisten Fällen zwar unangenehm, aber nicht tödlich. Machen Sie sich das bewusst. Darüber hinaus empfehle ich, jeden Abend die Stresssituationen des Tages Revue passieren zu lassen – die schönen Situationen natürlich auch! Dann sollten Sie sich überlegen, wie Sie ähnliche Ereignisse beim nächsten Mal besser bewältigen können.
Wie vermeide ich, dass ich den Ärger nicht nur runterschlucke?
Je länger ich mich mit dem Thema „Ärger“ in der Praxis beschäftige, desto öfter beobachte ich: Unmut entsteht, weil es uns schwerfällt, das auszusprechen, was uns stört. Statt zu sagen, was wir uns wünschen, und ins Gespräch zu gehen, schweigen wir lieber und lassen unser Gegenüber auf eine unterschwellige Art und Weise spüren, dass uns etwas nicht passt. Oder wir lassen der Wut freien Lauf. Das ist schade. Denn wenn Sie sich ein paar Mal ein Herz fassen und ruhig sagen, was Sie sich vorstellen, werden Sie zu 99 Prozent feststellen, dass die anderen kooperativer sind, als Sie denken.
Wie sollte ich meine Freizeit gestalten, um im Beruf gelassener zu bleiben?
Mein Rezept: Noch seltener fernsehen und einen Ausdauersport betreiben, der Spaß macht. Außerdem mehr Menschen treffen, die einem wirklich etwas bedeuten. Mehr Zeit mit sich verbringen und sich erlauben, jeden Tag eine bestimmte Zeit nur sich zu widmen.
Wie schaffe ich es, gelassen Kritik zu üben?
Klingt simpel, ist aber sehr schwierig: Die wichtigste Zutat ist Mut. Kritik üben kostet viel Überwindung. Damit die Botschaft auch ankommt, empfehle ich die Technik der „gewaltfreien Kommunikation“. Ich bin ein großer Fan davon, weil Kritik so tatsächlich auf- und angenom- men werden kann, ohne dass das Gegenüber sein Gesicht verliert. Sagen Sie, was Sie beobachtet haben, was das bei Ihnen auf der Gefühlsebene ausgelöst hat, und formulieren Sie anschließend eine konkrete Bitte, wie es anders laufen soll. Seien Sie jedoch offen für weitere Lösungsansätze, die Sie möglicherweise nicht bedacht haben.
Mut zur Gelassenheit
3 Fragen, die Sie Ihrer Gelassenheit näher bringen:
• Welche Situationen des Tages waren ärgerlich – und welche schön?
Fragen Sie sich dies am Ende des Tages – und überlegen Sie sich, wie Sie ähnliche Ereignisse beim nächsten Mal anders angehen können.
• Was ist Ärger und worüber ärgern Sie sich?
Ärger ist Un-Mut. Unmut entsteht, wenn es uns schwerfällt, auszusprechen, was uns stört.
Überlegen Sie, was sie stört – und üben Sie daraus eine konkrete Bitte zu formulieren, wie es anders laufen soll.
Wichtig: Seien Sie offen für andere Lösungsansätze, die Sie möglicherweise noch nicht bedacht haben
• Haben Sie Mut?
Damit erfüllen Sie die wichtigste Voraussetzung, um gelassen Kritik zu üben.
Im Tourismus ist der Gast bekanntlich König. Wie kann Gelassenheit hier eingesetzt werden, ohne dass der Eindruck entsteht, „man bemühe sich nicht“?
Als häufiger Gast in Restaurants und Hotels schätze ich gelassene Servicemitarbeiter sehr. Der Grund: Sie sehen mehr, sind aufmerksamer und ihre ruhige, souveräne Art steckt mich als Gast an. Aber wie bei allem im Leben macht auch hier die Dosis das Gift. Sie sprechen da nämlich ein sehr häufiges Missverständnis an: Wer gelassen ist, sei faul und stecke den Kopf in den Sand. Solche Menschen gibt es natürlich, aber Faulheit hat mit innerer Ruhe wenig zu tun.
In welchen Situationen wünschen Sie sich mehr Gelassenheit von sich selbst – und von anderen?
Von mir wünsche ich mir mehr Ruhe, wenn mir etwas nicht schnell genug gelingt. Fragen Sie meine Mitarbeiter oder auch meine Frau: Ich bin keineswegs immer gelassen. Aber ich habe zwei Dinge gelernt: Ich erkenne meistens, wann es Zeit ist, sich zu entschuldigen, und ich habe gelernt, dass mein Stress mir zeigt, dass ich noch etwas lernen kann. Von anderen: Als geborener Dortmunder bin ich Fan des BVB und mache mir manchmal Sorgen um unseren ehemaligen Trainer Jürgen Klopp – nicht, dass er noch vor Stress an der Seitenlinie umfällt.
ZUR PERSON
- Christian Bremer ist Vortragsredner, Businesscoach und Experte für Stressmanagement.
- Seit mehr als 20 Jahren coacht er Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter.
- Sein aktuelles Buch heißt „Gelassenheit gewinnt – Aktiv und ausgeglichen mit mentaler Stärke“ und ist im März 2016 im C.H.BECK-Verlag erschienen.