Innovative Verkehrskonzepte

18. Juni 2016

Egal, ob man im Winter Zeit auf der Skipiste oder im Sommer an einem See oder in den Bergen verbringen möchte: Am Weg dorthin ist man selten alleine.

Tourismus und Mobilität gehen Hand in Hand: Die Verkehrsanbindung einer Ferienregion ist essenziell für ihren Erfolg. Doch um Gästen eine stressfreie Reise und einen verkehrsarmen Urlaub zu ermöglichen, sind innovative Konzepte nötig.

dorfbahn

Gerade zu Ferienbeginn gehört die Blechlawine, die sich in Richtung Ferienorte wälzt, wie das Amen zum Gebet. In Tirol, wo viele Regionen geografisch bedingt nur über wenige Routen erreichbar sind und viele Urlaubsgäste mit dem eigenen Auto anreisen, ist der Verkehrskollaps damit mehr oder weniger vorprogrammiert.

Staus werden mehr

Dieses Problem wird sich noch verschärfen, meint Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Markus Mailer, Professor für Verkehrsplanung, Verkehrstechnik und Verkehrsmanagement an der Universität Innsbruck: „Die Verweildauer von Gästen nimmt seit Jahren ab, während die Nächtigungszahlen steigen.

Das hat zur Folge, dass gleich volle oder sogar noch vollere Betten mit einem Vielfachen an An- und Abreiseverkehr verbunden sind.“ Betroffen davon sind viele Bereiche – von der Lebens- qualität der Einwohner über die Umwelt bis hin zum Fremdenverkehr. „Gäste, die länger Urlaub machen, sind eher bereit Staus zu akzeptieren“, meint der Experte. „Bei Tagesgästen ist diese Akzeptanz aber weniger gegeben, da ihre Zeit begrenzt ist.“ So kann eine Destination an Reisetagen gerade für Besucher aus dem Umland an Attraktivität verlieren. Und da sie die Staurouten bereits kennen, weichen sie auf andere Ziele aus.

„GÄSTE, DIE LÄNGER URLAUB MACHEN, SIND EHER BEREIT STAUS ZU AKZEPTIEREN. BEI TAGESGÄSTEN IST DIESE AKZEPTANZ ABER WENIGER GEGEBEN, DA IHRE ZEIT BEGRENZT IST.“
UNIV.-PROF. DIPL.-ING. DR. TECHN. MARKUS MAILER
Früh reagieren

„Die einfache Wunderlösung“ für das Verkehrsproblem gibt es nicht, ist Mailer überzeugt: zeugt: „Ein Ausbau der Infrastruktur ist kaum wirtschaftlich. Der An- und Abreiseverkehr ist zurzeit auf vergleichsweise kurze Zeiträume an wenigen Tagen beschränkt.“ So würden neu geschaffene Kapazitäten größtenteils brachliegen. Vielmehr sieht der Experte Potenzial in der frühzeitigen Lenkung des Verkehrs. Da Tirol nur über wenige Alternativrouten verfügt, gelte es, noch lange bevor ein Flaschenhals erreicht wird, zu reagieren. Fahrer müssten zum Beispiel, wenn am Fernpass ein Stau droht, bereits auf der Höhe von Ulm einen anderen Weg einschlagen, um die Route zu entlasten. Allerdings wäre dazu verstärkter, grenzübergreifender Informationsaustausch nötig.

Urlaub ohne Auto

Zusätzliches Potenzial sieht er bei Gästen, die mit anderen Verkehrsmitteln anreisen. „Urlauber aus großen Städten sind dafür prädestiniert“, schlägt Mailer vor. „Ihnen steht oft eine gute Bahnanbindung zur Verfügung. Und viele Großstadtbewohner haben kein eigenes Auto. Damit erschließt sich eine neue Gästegruppe, die zugleich den Verkehr en lastet.“ Allerdings gelte es hier, noch durch- gängige Angebote zu schaffen. Der lückenlose Transport des Gepäcks von der Haustür bis ans Ziel, Mobilitätsangebote vor Ort und einfache Buchungsmöglichkeiten wären wichtig. „Gelingt das, würde es zur Entspannung der Verkehrssituation beitragen“, ist Mailer überzeugt. „Und man sollte bedenken: Um einen Stau zu vermeiden, müssen nicht alle Autos von der Straße verschwinden. Eine Reduktion von 20 Prozent ist oft schon ausreichend, um den Verkehr wieder fließen zu lassen.“

Kürzere Aufenthaltsdauer >> längere Staus

Warum sich das Stau-Problem sich noch verschärfen wird:

• Nächtigungszahlen steigen, aber die
• Verweildauer von Gästen nimmt seit Jahren ab.
• Für gleich volle oder sogar noch vollere Betten ist daher ein Vielfaches an An- und Abreiseverkehr notwendig.

Lösungen im Kleinen

Neben solchen Maßnahmen auf breiter Ebene gibt es auch wirksame Ansätze im regionalen Bereich. Das beweist nicht zuletzt die Region Serfaus-Fiss-Ladis seit Lan- gem. „Wir haben es mit einer grundsätzlich schwierigen Situation zu tun“, erklärt der Serfauser Bürgermeister Paul Greiter. „Mit der Zubringerstraße an einem und der Seilbahn am anderen Ende des Ortes scheint hohes Verkehrsaufkommen unvermeidbar.“ Doch bereits 1985 ergriffen Gemeinde und Seilbahn die Initiative: Mit der 1,3 Kilometer langen Dorfbahn wurde ein Großpark- platz außerhalb von Serfaus mit der Seilbahn verbunden. Das kostenlose Verkehrsmittel ermöglicht es seither, den Ort während der Wintersaison zur verkehrsfreien Zone zu erklären. Für den Wintersportort war das aber erst der Anfang.

 

paulgreiter
„WIR HABEN ES MIT EINER GRUNDSÄTZLICH SCHWIERIGEN SITUATION ZU TUN. MIT DER ZU- BRINGERSTRASSE AN EINEM UND DER SEILBAHN AM ANDEREN ENDE DES ORTES SCHEINT HOHES VERKEHRSAUFKOMMEN UNVERMEIDBAR.“
PAUL GREITER, BÜRGERMEISTER SERFAUS
Gemeinsame Anstrengung

„Wir haben lange nach einem Weg gesucht, dieses Prinzip auch auf den Sommer zu erweitern“, erzählt Greiter. Mit der zunehmenden Bedeutung des Sommertourismus wurde ein Plan für die zweite Saison immer wichtiger. Vorstöße, ein ganzjähriges Fahrverbot umzusetzen, scheiterten jedoch. „Die Beeinträchtigung für die Serfauser wäre zu groß gewesen. Und auch Sommergäste haben andere Bedürfnisse, denen wir entsprechen müssen“, meint der Bürgermeister. Statt eines rigiden Verbots wurde deswegen ein Verkehrsberuhigungskonzept entwickelt – und das mit großem Erfolg. Seit dem Sommer 2015 sorgt die Begegnungszone in Serfaus für Gleichberechtigung: Fußgängern steht auch die Benutzung der Fahrbahnen frei, solange sie Autos nicht unnötig behindern. Zudem gilt im Ortsgebiet eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 20 km/h und die Serfauser verzichten an unterschiedlichen Wochentagen freiwillig darauf, das Auto zu benutzen.

„So ist jeder in den Prozess, die Lebens- und Urlaubsqualität im Ort zu steigern, mit eingebunden“, erzählt Greiter stolz. „Und gemein- sam mit unterstützenden Angeboten wie dem kostenlosen Parken, der Dorfbahn und einer bewusst fußgänger- und radfahrerfreundlichen Gestaltung von Serfaus sind die Maß- nahmen ein voller Erfolg.“

ZUR PERSON
  • Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Markus Mailer hat Bauingenieurwesen mit Vertiefung Verkehrswesen an der Technischen Universität Wien studiert.
  • Danach arbeitete er an der Universität und in der Wirtschaft bevor er 2010 als Professor für Verkehrsplanung
    an die Universität Innsbruck berufen wurde.
  • Dort leitet er auch den Arbeitsbereich Intelligente Verkehrssysteme.Unter anderem mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 km/h im gesamten Ortsgebiet kommt Serfaus in der Sommersaison Fußgängern und Radfahrern entgegen.


markusmailer



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